– Artikel in der FAZ vom 2022-07-10
Luxus der Einsamkeit
Bullerbü- Traume und günstige Preise: Wer Natur pur sucht, der ist auf dem schwedischen Häusermarkt richtig. Doch es gibt einen Wermutstropfen.
– Von Sabine Hildebrandt-Woeckel
Was macht man mit knapp 40.000 Euro?
Einen Mittelklassewagen kaufen? Hans und Sabine haben sich anders entschieden. Vor rund sieben Monaten erwarben die beiden einen alten Bauernhof in Südschweden: möbliert, sofort bezugsfertig, mit 4000 Quadratmeter Grund und direktem Zugang zu einem Waldsee. Das Kanu, um ihn zu erkunden, gab es noch obendrauf.
Als „unfassbar günstig“ beschreibt Makler Thorsrud die Immobilienpreise in seiner Heimat Schweden – und das, obwohl sie gerade in den vergangenen Jahren drastisch angezogen haben. Der Schwede mit deutscher Verwandtschaft betreibt das Portal Schwedenimmobilien24.de und betreut seit gut zwanzig Jahren Deutsche, die in seiner Heimat Immobilien erwerben möchten.
Allein im ersten Quartal 2022 entwickelten sich die Preise um fast 13 Prozent nach oben, zu Spitzenzeiten Mitte vergangenen Jahres waren es sogar fast 20 Prozent. Trotzdem zeigen die einschlägigen Portale auch heute noch Kaufpreise an, die sich hierzulande kaum jemand vorstellen kann. Für 100 000 Euro bis 120 000 Euro ein bezugsfertiges Einfamilienhaus zu bekommen, sagt Thorsrud, ist überhaupt kein Problem. In Südschweden (Götaland) wohlgemerkt, wo es die meisten deutschen Käufer wegen des ähnlichen Klimas und der besten Erreichbarkeit hinzieht.
In Mittelschweden, dem Svealand, sind die Immobilien sogar noch mal rund ein Drittel günstiger. Und wer die Zivilisation hinter sich lassen und noch weiter nordwärts will, kann in Norrland schon für 20 000 Euro ein kleines Häuschen erwerben. Dort allerdings sind die Sommer kurz und die Durchschnittstemperatur im Juli liegt bei 12 bis 16 Grad. Im Winter kann das Thermometer auch minus 40 Grad anzeigen.
Spürbar teurer wird es für Schwedenliebhaber nur in den großen Städten oder wenn es um Anwesen mit direktem Zugang zum See geht. Für weniger als 250 000 Euro, stellt Thorsrud klar, ist am Wasser nichts zu machen – und in begehrten Gebieten können die Preise auch in die Millionen gehen. Zudem ist der Markt hier inzwischen auch „ziemlich leer gefegt“.
Nicht ganz siebenstellig ist der Betrag, der, um ein Beispiel zu nennen, aktuell für ein rund 18 000 Quadratmeter großes Grundstück direkt am Seeufer des Unnen in Småland aufgerufen wird. Die Käufer erwartet außerdem ein angelegter Park sowie ein klassisches, möbliertes Wohnhaus inklusive diverser Nebengebäude, Bootshaus, Boots- und Badesteg.
Vermittler dieses Prunkstücks ist Michael Vahl. Der gebürtige Hamburger kaufte selbst vor Jahrzehnten am Kattegat, dem Meeresgebiet zwischen Jütland und der schwedischen Westküste gelegenen Provinz Halland, neben Småland, die wohl beliebteste Region des nördlichen Königreichs. Und da „Ruhestand keine Option“ für ihn ist, unterstützt er nun in Kooperation mit Partnern vor Ort seine Landsleute beim Sprung übers Meer.
Einziger Wermutstropfen angesichts solcher Traumpreise auch für Topimmobilien ist die Finanzierung. Bis vor ein paar Jahren waren schwedische Banken bereit, europäische Käufer mit bis zu 60 Prozent der Kaufsumme zu unterstützen. Da aber derzeit in Schweden mit Immobilienfinanzierungen praktisch kein Geld zu verdienen ist, werden im Moment so gut wie keine Kredite an Ausländer vergeben, bedauert Vahl.
Dem Interesse tut das aber anscheinend keinen Abbruch. So hat sich neben Thorsrud und Vahl inzwischen eine ganze Reihe Anbieter auf deutsche Käufer spezialisiert. Gerade in den vergangenen Jahren und durch Corona „wurde die Nachfrage noch einmal heftig gepuscht“, sagt Vermittler Thorsrud. Zurzeit sind es seiner Beobachtung nach vor allem drei Arten von Immobilien, für die sich seine Kunden überwiegend interessieren.
Erstens Mehrfamilienhäuser, die in erster Linie von Kapitalanlegern erworben werden, die außerhalb der Eurozone investieren möchten. Zwischen 300 000 und 500 000 Euro müssen hier im Schnitt für zehn Wohneinheiten angelegt werden, wobei laut Thorsrud eine Rendite von 10 Prozent und mehr lockt. Zweitens sind Einfamilienhäuser am Rand kleinerer Orte gefragt, für die sich oft echte Auswanderer interessieren.
Und drittens werden sogenannte Resthöfe gesucht, möglichst mit viel Land drum herum und inmitten der Natur gelegen. Davon fühlen sich Feriengäste wie Hans angezogen, die nicht vollständig nach Schweden ziehen möchten, aber doch viel Zeit dort verbringen und gern auch noch selbst renovieren. Nur ein Schotterweg führt zu seinem Anwesen nahe des Ortes Laxå. Das Wasser kommt aus dem Brunnen, und geheizt wird mit Holz. Nicht einmal Strom gibt es bislang, dafür ist es nicht weit zum Vänern, dem größten See der Europäischen Union. „Die Lage“, findet Hans, „ist einfach unbeschreiblich schön.“
Irgendwann will der Naturfreak das Stromproblem vielleicht mit einer kleinen Solaranlage lösen. Aber das hat Zeit. Hans, heute 71, war jahrzehntelang beruflich stark eingespannt, seine Lebensgefährtin ist es noch immer. Der Rückzugsort in Schweden, freuen sich beide, biete nun endlich den „Luxus der Langsamkeit“.
So ähnlich sehen es auch Kevin und Sabrina Rüßmann. Sie gehen aber noch einen Schritt weiter und haben sich entschlossen, Deutschland ganz hinter sich zu lassen. Kein ganz seltenes Unterfangen. Rund 30 000 Deutsche leben derzeit ganzjährig in Schweden. Auch für Rüßmann war es vor allem die weite und weitgehend unberührte Landschaft, die lockte, aber auch das soziale Umfeld. „Vor allem aber der Umgang mit Kindern ist hier einfach viel entspannter“, findet Kevin. Die Liste, die er aufzählt, ist lang: das respektvolle Du, die Herzlichkeit der Menschen, ihre Hilfsbereitschaft.
Schon in seiner Kindheit habe er oft Ferien im Land der Wikinger gemacht und bereits mit sechzehn davon geträumt, dort eine Lehre zu beginnen, erzählt er. Damals aber sei solch ein Vorhaben mit vielen Hürden verbunden gewesen.
Heute, knapp 15 Jahre später, gibt es praktisch keine Hemmnisse mehr, in Schweden zu kaufen, zu leben und zu arbeiten – und so konnte sich die junge Familie im vergangenen Dezember gleich zwei Träume erfüllen: Eigentum und Selbständigkeit. Denn am 1. August gehen die „Urlaubs-Elche“ an den Start. Die Rüßmanns vermieten dann drei Ferienhäuser, die ebenfalls auf dem erworbenen Grundstück liegen.
Für das 4000 Quadratmeter große Anwesen hat die Familie zwar deutlich mehr bezahlt als den Gegenwert eines Mittelklassewagens. Aber eine sechsstellige Summe wurde es nicht. Dafür gab und gibt es auch bei diesem Anwesen für die neuen Eigentümer noch einiges zu tun, bis die ersten Gäste kommen können.
Auch der Neuschwede Rüßmann legt selbst Hand an. Wer dies nicht kann oder will, der muss im Königreich mit Handwerkerkosten auf deutschem Niveau rechnen. Auch die Lebenshaltungskosten sind ähnlich. Grundsätzlich gilt das auch für die rechtliche Situation, auch wenn die Kaufabläufe im Detail etwas anders sind.
Beispielsweise braucht man in dem EU-Land keinen Notar, und insgesamt geht der Verkauf wegen des üblichen Bieterverfahrens in der Regel deutlich schneller vonstatten als bei uns (siehe Kasten). Auch sonst sind ein paar Dinge zu beachten: So empfiehlt Vermittler Vahl Käufern dringend, der sogenannten Begutachtungspflicht nachzukommen. Das heißt, das Traumhaus in jedem Fall gründlich durchzuchecken oder – wer das nicht selbst kann – die entsprechenden Experten hinzuzuziehen. Denn in Schweden haften Verkäufer bis zu zehn Jahre für versteckte oder verdeckte Schäden, aber eben nur, wenn der Käufer seiner Begutachtungspflicht nachgekommen ist. Ebenso sollte sich jeder, der in Schweden kaufen möchte, mit dem sogenannten Jedermannsrecht auseinandersetzen, das jedem freien Zugang zur Natur erlaubt.
„Alles allerdings keine echte Hürden“, findet Kevin Rüßmann, der schon nach wenigen Monaten ganz in seiner Wahlheimat angekommen ist. Wann immer er kann, schnappt er sich Hund und Sohn – und ab geht’s in die riesigen Wälder. „Unendliche Weite, die ich nie mehr missen möchte.“
– Von Sabine Hildebrandt-Woeckel, FAZ